Ungeliebt aber verehrt.

Grau und kalt, starr sieht der quadratische Koloss über Estichà. Eine breite Treppe, auf welcher nur wenige auf und abgehen, führt zu seinem dunklen Portal.
Der Yoromtempel von Estichà.

Unter der Führerschaft einer asketischen, chiranischen Hohepriesterin, die sich den einfachen Gläubigen stets entzieht, arbeitet still eine begrenzte Schar von Priestern zum Wohle der Gläubigen und des Gleichgewichts. Hier werden die heiligen Rituale an den Toten vollführt, ihre Körper verbrannt, und die Seelen der Angehörigen betäubt und getröstet. Manch ein Verzweifelter, Lebensmüder findet seinen Weg die Treppen hoch, und entschläft friedlich in den kühlen Kammern, bewahrt vor den Vorwürfen und der Angst seiner Verwandten und Freunde.

Die schweigsamen Geweihten geniessen einen Respekt, wie er wenigen zuteil wird. Yorom entkam niemand, jeder würde ihm einmal begegnen. In dieser unbehaglichen Gewissheit fällt manch ein Blick auf das graue Gebäude. Auf dem Felsen der Oberstadt, vis-a-vis zum Tempel der sanfteren Vesana.

Ein greiser Mann, mit sovielen Stürmen auf dem Buckel, das jeder weitere sein letzter sein könnte, ist wohl kein ungewöhnlicher Besucher im Tempel des Gott des Todes.
Zwar könnte es viele Gründe geben, warum der Hüter des wahren Glaubens den Tempel betritt, doch so offensichtlich darauf bedacht, wie heute, wie ein alter Mann zu wirken und nicht wie ein Repräsentant des heiligen Rates, läßt wohl den Schluss zu, dass er schlicht zum Beten gekommen ist.
Es ist nur ein Augenblick, den er zwischen dem Traumlichtempel, den er so eben verlassen hat und Yoroms Tempel verweilt, doch in dieser kurzen Zeit wird sein Gesicht von vielen Regungen durchzuckt. Die meisten davon mögen jedem wahren Gläubigen ebenfalls berühren, wenn er an Yoroms eisigen Griff denken mag, doch zuletzt atmet er durch, greift seinen Gehstock etwas entschlossener und steigt zuversichtlich lächelnd die Stufen hinauf.

Graugewandete Novizen treten stumm zur Seite, als der hochrangige Geistliche den Tempel betritt. Die kleinen, bläulich-kalten Lichter, die die dunkle, kühle Empfangshalle ausleuchten, reflektieren auf der glatten Oberfläche der Tempelwände. Ein eisiger Wind geht, der wie durch einen Bann in den Wänden des Todbringers gehalten zu werden scheint.

Kaum hat Barwaan beide Füße durch das Portal gesetzt, tritt ein hochgewachsener, hagerer Mann an seine Seite. Wie die anderen in einfache, graue Gewänder gehüllt, neigt er seinen Kopf etwas zu dem Hüter herunter, und bietet ihm schweigend den Arm an. In einem bleichen Gesicht stehen zwei fahle, eisgraue Augen, und ein schmallippiger Mund verzieht sich kaum sichtbar zu einem Lächeln.